Sexueller Missbrauch an Kindern: Wie erkennen?
Viel Zuwendung und keinen Druck ausüben: So hilft man Kindern, sich beim Verdacht auf sexuellen Missbrauch zu offenbaren. // Dall-E/Moritz Kircher
So helfen Sie Kindern bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch

Das Kind ist plötzlich nur noch bedrückt oder aggressiv, schläft schlecht oder leitet unter eine Essstörung. Dahinter könnte sexueller Missbrauch stecken. Worauf achtet man bei einem Verdacht?  Und wie geht man dann vor?

 // Franken

Fast zwei Millionen Nutzer zählte eine Plattform, die Videos von Missbrauch an Kindern zeigte und die nun zerschlagen werden konnte. An der internationalen Operation „Stream“ beteiligten sich 38 Staaten – die Initiative kam aus Bamberg.

In jedem einzelnen Fall von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen dürfte sich im sozialen Umfeld die Frage stellen: Hätten wir das nicht verhindern können? Hätten wir es früher merken müssen? Es gibt Anzeichen, auf die man achten kann. Und Tipps von Experten, wie man im Verdachtsfall richtig reagiert.

Die Fragen und Antworten im Überblick:

  1. Woran erkenne ich sexuellen Missbrauch?
  2. Wie gehe ich bei vermutetem Missbrauch mit einem betroffenen Kind um?
  3. Was sind die (versteckten) Hilferufe eines missbrauchten Kindes?
  4. Wie reagiere ich, wenn sich ein Kind mir anvertraut?
  5. Wer hilft bei Fällen von sexuellem Missbrauch weiter?

Oft wissen Kinder, die sexuell missbraucht werden, ganz intuitiv: Das, was mit mir geschieht, ist nicht in Ordnung. Doch meist erzählen sie erstmal niemandem davon - aber sie verändern sich. Dann sollten Erwachsene ihre Antennen ausfahren.

"Manchmal trauen sich Erwachsene gar nicht genau hinzuschauen, weil sie nicht wissen, was zu tun wäre oder wie sie damit umgehen sollen", sagt Tanja von Bodelschwingh vom Verein N.I.N.A., eine Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Deshalb beantwortet sie hier die wichtigsten Fragen.

1. Woran erkenne ich sexuellen Missbrauch?

Anzeichen bei Opfern können sein:

  • Plötzlich sehr ängstlich oder aggressiv
  • Unerklärliche Konzentrationsstörungen und Leistungsabfall in der Schule
  • Zurückgezogenheit und ständige Kopf- oder Bauchschmerzen
  • Selbstverletzung
  • typische Fremdverletzungen
  • Plötzliche Essstörungen oder andere Süchte
  • Nicht altersgerechtes sexualisiertes Verhalten
  • Starke Erschöpfung durch Schlafstörungen

«Da gibt es keine typischen Verletzungen oder Hinweise, die eindeutig darauf hinweisen», sagt Sozialpädagogin Tanja von Bodelschwingh. Allerdings sollten Erwachsene aufmerksam werden, wenn sich Kinder stark verändern, etwa plötzlich sehr ängstlich oder auch aggressiv sind.

Eltern betroffener Kinder, die sich an das N.I.N.A.-Hilfe-Telefon wenden, berichteten beispielsweise, dass sich Kinder nur noch schwer konzentrieren können, in der Schule Probleme bekommen, sich zurückziehen oder ständig über Kopf- und Bauchweh klagen. Andere fügen sich selbst Schmerzen zu, entwickeln Essstörungen oder andere Süchte.

Sehr aufmerksam sollten Erwachsene werden, wenn Kinder ein sexualisiertes Verhalten an den Tag legen, was nicht ihrem Alter entspricht, «etwa mit anderen Kindern unter einer Decke verschwinden und sie dazu drängen, konkret Erwachsenensexualität nachzustellen», nennt die Expertin ein Beispiel.

Manchmal werden auch Lehrkräfte stutzig, wenn Kinder immer wieder so müde sind, dass sie in der Schule einschlafen. «Manche Kinder sind so erschöpft, weil sie nachts wach und aufmerksam sein müssen und nicht mehr schlafen», so von Bodelschwingh.

Jede dieser Auffälligkeiten könne natürlich auch andere Ursachen haben. «Deshalb ist es wichtig, mit dem Kind ins Gespräch zu kommen», rät das bundesweite Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch.


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2. Wie gehe ich bei einer Vermutung mit dem Kind um?

Mögliche Vorgehensweise bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch:

  • Zeit nehmen und Vertrauen aufbauen
  • Unaufdringlich das Gespräch suchen
  • Offene Fragen (keine ja/nein Fragen) stellen
  • Keinen Druck machen, denn das macht der Täter

Die richtige Strategie bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch ist: Vertrauen aufbauen, Zeit nehmen, etwas zusammen unternehmen und fragen, wie es dem Kind geht, etwa so: «Ich mache mir Sorgen, du siehst traurig aus und hast dich verändert», rät von Bodelschwingh. Dabei sollte man das Kind aber keinesfalls drängen und gegebenenfalls das Gespräch später erneut suchen.

Ein anderer Einstieg könnte sein: «Nicht alles was Erwachsene machen, ist immer gut für Kinder. Dann ist es in Ordnung, dass man das erzählt.» Man könne auch erklären, dass es manchmal Geheimnisse gibt, die sich schlecht anfühlen und dass man dann darüber sprechen darf.

Das Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch rät, keine Fragen zu stellen, auf die man nur mit ja oder nein antworten kann, etwa «Hat dir die Person wehgetan?» Besser seien offene Fragen wie: «Was habt ihr zusammen gemacht?» Aber auch da gilt: Kein Druck! Denn fühlt sich das Kind bedrängt, kann es passieren, dass es ganz dicht macht. Man darf nicht vergessen, dass meist ja schon Täter oder Täterin großen Druck aufbaut, dass das Kind nichts erzählen dürfe.

3. Was könnten versteckte Hilferufe sein, die ich überhöre?

Hilferufe missbrauchter Kinder kann man so erkennen:

  • Auf versteckte / codierte Botschaften achten
  • Auch im Alltagsstress genau hinhören (Kinder sagen es oft nur einmal)

Ob aus Scham oder weil sich das Kind selbst für schuldig an seiner Situation fühlt, findet es nur schwer Worte für den Missbrauch. Tanja von Bodelschwingh gibt ein Beispiel: «Bei Opa muss ich immer am Lolli lutschen. Das mag ich nicht.» Im Alltagsstress könne man schnell den wahren Kern dahinter überhören und tut das ab mit: «Dann sag ihm einfach, dass du das nicht möchtest.» Fertig.

Die Erfahrung zeigt: «Für das Kind ist das Thema damit durch. Es denkt: Ich habe es doch Mama gesagt. Sie weiß jetzt Bescheid, was sich da abspielt. Noch mal erzähle ich es nicht», erklärt die Sozialpädagogin die Kindersicht. Häufig falle dann bei Eltern erst im Nachhinein der Groschen.

4. Wie reagiere ich, wenn sich ein Kind mir anvertraut?

Die richtige Reaktion:

  • Für das Kind da sein - nicht den Täter jagen
  • Nicht nach Details zum Missbrauch fragen
  • Nicht versprechen, dass man das Geheimnis für sich behält
  • Schilderungen des Kindes schriftlich festhalten (nach dem Gespräch)

«Berichtet das Kind über einen Missbrauch, sollte man ihm signalisieren: Ich glaube dir und stehe an deiner Seite!», nennt Tanja von Bodelschwingh die wichtigste Regel. Man sollte für das Kind da sein und nicht Täter oder Täterinnen überführen wollen.

Ebenfalls wichtig: Nicht nach Details fragen! «Das sollte man den Fachleuten überlassen», rät die Expertin. Sie warnt auch davor, das Thema nach der Offenbarung überzustrapazieren, in dem man immer wieder abspult: «Erzähl doch noch mal ganz genau!» Oder: «Wie war das in der Badewanne?»

Das Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch empfiehlt, sich Zeit zu nehmen, um die richtigen Schritte zu überlegen. Dem Kind sagt man, dass man nachdenken muss, was nun richtig ist, um ihm zu helfen. Dann informiert man es über die anstehenden Schritte. Wichtig sei dabei: Versprechen Sie nicht, dass Sie alles für sich behalten werden. Denn dann ist es nicht möglich, dem Kind zu helfen. Was man aber tun sollte: alle Beobachtungen und Aussagen des Kindes schriftlich festhalten.

5. Wer hilft weiter?

Erfahren Angehörige oder Bekannte, dass ein Kind sexuell missbraucht wurde, oder hegen einen Verdacht, gibt es Rat am Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch unter 0800/22 55 530 oder in Fachberatungsstellen, die zum Thema arbeiten. Auf dem Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch gibt es eine Datenbank für Stellen in der jeweiligen Nähe.

Die wichtigsten Hilfsangebote bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch:

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