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Aufarbeitung
Coburgs unrühmliche Rolle ab 1922
Im November 1935 war der heute so genannte Carl-Eduard-Bau mit Hakenkreuzfahnen geschmückt. In Coburg fand die „Führertagung“ des Nationalsozialistischen Kraftfahrer Korps (NSKK) statt. Auch Adolf Hitler war anwesend.
Im November 1935 war der heute so genannte Carl-Eduard-Bau mit Hakenkreuzfahnen geschmückt. In Coburg fand die „Führertagung“ des Nationalsozialistischen Kraftfahrer Korps (NSKK) statt. Auch Adolf Hitler war anwesend. // Kunstsammlungen der Veste Coburg
Signet des Fränkischen Tags von Redaktion Fränkischer Tag
Coburg – Das neue Jahrbuch der Coburger Landesstiftung behandelt unter anderem die Zeit des Nationalsozialismus unter verschiedenen Gesichtspunkten.

Der neue Jahrbuch-Band der Coburger Landesstiftung bündelt aktuelle Forschungen zu der unrühmlichen Rolle, die Coburg beim Aufstieg und der Herrschaft des Nationalsozialismus spielte. „Neben einer Einführung in die örtliche Entwicklung von 1918 bis 1945 finden sich Spezialbeiträge, etwa zu dem in Coburg veranstalteten „Dritten Deutschen Tag“ 1922 oder zu einflussreichen Persönlichkeiten“, erläutert Niels Fleck von den Kunstsammlungen der Veste Coburg, der für die Redaktion des Buchs verantwortlich zeichnet.

Persönlichkeiten des Nationalsozialismus

Betrachtet werden unter anderem „Hitlers Herzog“, Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha, sowie der Architekt Reinhard Claaßen, der die Entwürfe für die geplante städtebauliche Umwandlung Coburgs zu einer nationalsozialistischen Kultstätte maßgeblich verantwortete. Daneben bietet der Band traditionsgemäß weitere Einblicke in aktuelle Forschungen zur Geschichte des Coburger Landes und seinen reichen Sammlungen, die in der Coburger Landesstiftung gebündelt sind.

Stadtrat setzte Forschungsprojekt in Gang

„Das Image Coburgs als beschauliche und zugleich weltoffene Residenzstadt, in der im 19. Jahrhundert der europäische Hochadel ein- und ausging, erfuhr sein schroffes Gegenbild durch die Rolle, die die Vestestadt im Nationalsozialismus einnahm“, fasst Niels Fleck zusammen. Der Aufstieg und die Machteroberung der NSDAP in Coburg dienten gewissermaßen als „Blaupause„ für das Deutsche Reich. Eine kritische Aufarbeitung dieser Zeit setzte vergleichsweise spät ein, auf breiterer Ebene erst um die Jahrtausendwende. Darauf aufbauend berief der Stadtrat 2016 eine Expertenkommission zur Erforschung der Coburger Stadtgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein. „Die daraus hervorgegangene grundlegende Studie Eva Karls mit dem Titel „Coburg voran!“ ist soeben beim Verlag Schnell & Steiner erschienen. Das neue Jahrbuch der Coburger Landesstiftung versammelt weitere Beiträge zu unterschiedlichen, teils noch wenig beachteten Aspekten des großen Themenkomplexes“, sagt Fleck.

Die Aufsätze im Buch

Andreas Stefan Hofmann bietet den Einstieg mit einer sehr kenntnisreichen Gesamtdarstellung der Entwicklungen in Coburg von 1918 bis 1945. Johannes Staudenmaier geht in seinem Beitrag speziell auf die Hintergründe, Aktionen und Folgen des „Dritten Deutschen Tags“ 1922 ein, bei dem die NSDAP und die SA unter Anführung Adolf Hitlers ihren ersten reichsweit beachteten Auftritt hatten. Sein Beitrag basiert auf der Ausstellung, die anlässlich des hundertsten Jahrestags dieses Ereignisses im Staatsarchiv Coburg gezeigt wurde.

„Hitlers Herzog“ und seine Bibliothek

Harald Sandner stellt Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha in seinen unterschiedlichen Lebensabschnitten als Landesherr, Privatmann, Lobbyist und „Hitlers Herzog“ dar, aber auch als Schlüsselfigur bei der Sanierung und anschließenden Nutzung der Veste. Sascha Salatowsky analysiert in seinem Aufsatz die bisher kaum beachtete Privatbibliothek Carl Eduards und erkennt in ihr ein bewusst angelegtes Arsenal völkischer, faschistischer und nationalsozialistischer Schriften.

Der Architekt und der Sammluns-Chef

Christian Boseckert, der bereits in einer früheren Studie die geplante Umwandlung Coburgs zu einer nationalsozialistischen Kultstätte untersucht hat, stellt im vorliegenden Band den für die Planungen maßgeblich verantwortlichen Reinhard Claaßen als erstaunlich anpassungsfähigen Architekten vor, dessen Oeuvre auch Entwürfe für jüdische und christliche Sakralbauten umfasst.

Clementine Schack von Wittenau bietet erstmals eine biographische Abhandlung zu August Brüschwiler. Als Kunsthändler infolge fragwürdiger Geschäfte gescheitert, aber als früher Anhänger Adolf Hitlers im NS-Regime bestens vernetzt, leitete er von 1936 bis 1943 als „Sammlungsvorstand“ die Geschicke der Kunstsammlungen der Veste Coburg.

Der Walzerkönig, Coburg und die Nazis

Der Themenschwerpunkt zur NS-Geschichte schließt mit einem Exkurs, der zugleich das Johann-Strauss-Jahr 2025 einleitet: Ralph Braun spannt in seinem Beitrag einen weiten Bogen, indem er zum einen Johann Strauss“ Verbindung zu Coburg mit seiner erst hier ermöglichten Eheschließung mit Adele Strauss nachgeht. Zum anderen unterzieht er die posthume Arisierung und ideologische Vereinnahmung des Komponisten wie auch die Hetzkampagne gegen seine jüdische Stieftochter Alice einer gründlichen Neubetrachtung.

„Insgesamt liefert der Band zahlreiche neue Erkenntnisse und zeigt zugleich eindrücklich auf, wieviel lohnenswerte Forschungsarbeit bei der Erschließung und Auswertung der Archive, Bibliotheken und Sammlungen noch zu leisten ist“, zeigt sich Fleck überzeugt.

Ein spätmittelalterlicher Kriminalfall

In weiteren Beiträgen geht es um die einstige mittelalterliche Turmhügelburg in Großwalbur (Meeder) und um das Turnierbuch des Kurfürsten Johann Friedrich der Großmütige, das in der Veste aufbewahrt wird. Claus Tittmann kann eine grundlegende Studie zu den „Büchsenmeisterbüchern“ als neuer artilleristischer Fachliteratur im 15. Jahrhundert vorlegen. Klaus Weschenfelder widmet sich dem 1570 entstandenen Gemäldeepitaph des Lorenz Langen in der ehemaligen Klosterkirche Sonnefeld. Den zugrundeliegenden, auf dem Epitaph in Bild und Text geschilderten Kriminalfall ordnet Weschenfelder in die politischen Ereignisse der Regierungszeit Herzog Johann Wilhelms von Sachsen-Weimar ein. red

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