Gourmet-Rebellion – nicht nur auf dem Teller. Im Showroom in München herrscht eine einzigartige Mischung aus Präzision und Lockerheit. Dominik Käppeler bringt mit wechselnden Menüs, flachen Hierarchien und molekularen Experimenten neue Impulse in eine starre und selbstverliebte Branche.
Der Blick schweift von der pinken Einhorn-Uhr an der Wand zur Gusseisenpfanne. Dominik Käppeler gibt Nussbutter hinein, schwenkt sie und brät den Steinbutt an. Im aufsteigenden Dunst vereinen sich salzige Frische und intensives Tonka-Aroma. Wenige Sekunden pro Seite, dann raus. „Denk dran, einmal ohne Ochsenbacke“, ruft er seinem Kollegen zu. Die freundliche, aber präzise Stimme übertönt das Anbraten. Auf Kartoffel-Espuma angerichtet, mit getrockneten Mandarinen, Schalotten-Marmelade und Vanille-Chips garniert, verlässt der Hauptgang den Pass.
Es ist einer von acht Gängen im Restaurant Showroom in München. Dazu kommen zwei Amuse-Gueule, ein Apero und ein Pralinen-Gang. 211 Euro kostet das Menü, dazu 120 Euro für die Weinbegleitung. Vier Köche und drei Kellnerinnen kümmern sich um die Gäste. An diesem Freitagabend im November wechselt das Menü. Spätestens alle drei Wochen ist das so – ungewöhnlich für die Sterneküche. Die Maxime: „Niemals gibt es ein Gericht nochmal“, so der 37-jährige Sternekoch mit selbstbewusstem Grinsen, ordentlich frisierten Haaren, getrimmtem Bart und dem Michelin-Stern als Tattoo auf dem linken Unterarm.
Doch dieser frequente Wechsel bringt hier niemanden aus der Ruhe. Neben den Köchen liegen Smartphones. Zwischen Probeessen und Abendservice scrollen sie durch Social-Media. Beim Anrichten folgen sie der genauen Komposition der Teller anhand ihrer Bilder. „Spätestens am dritten Abend sitzt das auch ohne, schließlich haben wir die Teller selbst erarbeitet“, sagt Thomas Kloiber, der Chef Patissier mit spitzem Gesicht und fein gezwirbeltem Bart.
Er steht gefährlich in seiner Ecke der gerade einmal 15 Quadratmeter kleinen Küche. Direkt hinter ihm führt die Wendeltreppe in den Keller. Pacojet, Küchenmaschine und Backformen deuten sein Fachgebiet an. „Fehlt nur noch der Rotationsverdampfer“, sagt er leicht schelmisch an seinen Chef gerichtet. Das Gerät wird in Laboren verwendet und kostet 6000 Euro. Die Twitch-Zuschauer von Käppeler wollten schon für Kloibers Wunsch spenden, noch kam aber nicht genug zusammen.
YouTube und Twitch sind seit fünf Monaten ein weiteres Standbein des Sternekochs. Ausgerechnet Fernsehköche reagieren darauf meist verhalten, „du bloggst jetzt also auch“, ertöne es da auf Branchenpartys. Käppeler zeigt auf YouTube nicht nur die Feinheiten der Sterneküche. Stattdessen kocht er live mal Krustenbraten oder bereitet Dubai-Schokolade zu. „Da wollte mir echt meine Frau erklären, wie ich die machen muss“, sagt er amüsiert zu Kloiber.
Während des Abendservice telefoniert er mit seinem Cutter, prüft das neueste Video, hockt an der Wand und beantwortet Kommentare. Es ist ihm wichtig, weil er merkt, dass sich eine junge Generation wieder mehr für gutes Essen interessiert. Sterneküche und YouTube – ein scheinbarer Widerspruch, den Käppeler auflöst.
Showroom in München: Mehr Sein als Schein
In der Küche gibt Käppeler seinem Team freie Hand. Eine Woche vor Menüwechsel teilt er die Pläne in der WhatsApp-Gruppe. Welche Komponenten es sein sollen, steht fest. Wie sie diese Viskositäten oder Aggregatzustände erreichen, entscheiden die Köche. Er gibt Kontrolle ab – untypisch für Sterneköche. Käppeler selbst kümmert sich meist um die Hauptgänge.
Ochsenbacke, Kohlrabi, Radicchio und Jakobsmuschel liegen bereit. Es sind die wenigen Komponenten, die „en minute“ zubereitet werden.
Auf Regalen stapeln sich unzählige Tupperdosen mit blauem Deckel. „Und trotzdem beschwert ihr euch ständig, dass wir zu wenige haben“, sagt der Chefkoch. Darin: Bananenchips, geräucherter Hüttenkäse, geschmorte Maronen. Daneben Schaumflaschen mit Stickstoffkartuschen für den Kartoffel-Espuma, Drückflaschen für Mango-, Tonka- und Quitten-Gel. Die Kokos-Sphären grüßen schwimmend aus dem Kühlschubfach. All dieses „Mise en Place“ wird drei bis fünf Tage vor Menüstart vorbereitet.
„Wir sind in der Avantgarde-Küche unterwegs“, sagt Käppeler. Zutaten werden nicht in ihrer eigentlichen Form serviert, sondern als Gels, Chips, Crumble oder eben Sphären. Die Komponenten bleiben zwar erkennbar. Das Spiel mit Formen soll jedoch überraschen und begeistern.
Das beste Beispiel dafür ist die kugelförmige Sphäre, die durch eine Reaktion von Calcium und Algin entsteht, dadurch im Inneren weich ist und wie ein Mini-Burrata aussieht. Einmal im Mund platzt die dünne Haut und ein feiner Kokosgeschmack breitet sich aus.
Dominik Käppeler: „Perfektion? Wie langweilig!“
Trotz solcher genauen Anforderungen sieht sich Käppeler jedoch nicht als Perfektionist. „Was ist Perfektion? Monotone Langweiligkeit!“, sagt er beim Anrichten des Hauptgangs. Perfektion sei beim ersten Mal schön, spätestens beim zweiten Mal langweilig. „Wenn ich essen gehe, will ich vom Sternekoch durchgenommen werden“, sagt Käppeler, „mich auf ein Erlebnis einlassen; an Ecken und Kanten stoßen.“
Vier weitere Gäste kommen in den Showroom. Den Gruß aus der Küche überbringt der Chefkoch selbst. Er hockt sich neben den Tisch, vermeidet den Blick von oben herab. Er duzt die Gäste. Prätentiöse Sterneküche gibt es hier nicht. Das Menü erhalten die Gäste erst am Ende des Abends – unterschrieben von Käppeler.
„Sobald du das Menü liest, hast du Erwartungen. Und die kann und will ich nicht erfüllen“, sagt er. Die Überraschung steht im Vordergrund. Kaum sind Allergien und Vorlieben abgeklärt, kehrt Käppeler in die Küche zurück und annonciert die Menüwahl. Kein „Ja Chef“ oder Zittern geht durch die Reihen. Das eingespielte Team arbeitet weiter. Insgesamt verlassen an diesem Abend 264 Teller die Küche. Bei voller Belegung wären es 336.
Kollegial statt Hierarchie
„Ich kenne kaum eine Branche, die sich so abfeiert wie Sterneköche“, erzählt Käppeler, „sie lassen sich bejubeln, aber in den Küchen wird rumgeschrien oder Mitarbeiter fertig gemacht“. Ein prominentes Beispiel kommt aus seiner Heimat: Christian Jürgens, der nach Vorwürfen seinen Posten als Küchenchef im Hotel „Überfahrt“ am Tegernsee verlor. Kein Wunder, dass die Branche kaum Fachpersonal finde.
Er selbst wurde in der Ausbildung von einer Rinderlende verprügelt, bei Fehlern runtergemacht statt aufgebaut und möchte in keinem Fall so werden, sagt er. Bei ihm gilt: „Wenn geschrien werden muss, liegt das meist an mir“. Passt die Kommunikation, braucht es keine Schreierei. Heute steht er auch nicht mehr jeden Tag ab 10.30 Uhr in der Küche, sondern erst drei Stunden vor Servicebeginn um 18 Uhr. Hilft ein Koch an einer anderen Station, wird sich bedankt. Selbst beim Service helfen die Köche mit – das zeige auch den Gästen, wer hinter den Speisen steht.
„Pass gut in der Schule auf. Wir mussten da alle durch – viel Erfolg!“, sagt Käppeler mit seiner Vaterstimme. Die 15-jährige Praktikantin verlässt um 20 Uhr die Küche. Eine Woche half sie mit – jetzt will sie erst recht Köchin werden. Im selben Alter beginnt er 2003 seine Ausbildung bei Feinkost Käfer in München. Danach Stationen in Rottach-Egern, unter anderem als Küchenchef im Bachmaier am See. Seit 2015 dann Küchenchef im Schweiger2, welches er 2017 übernimmt und zum Showroom zurückbenennt. So hieß die Bar bereits, als hier noch auf Bildschirmen die Catwalks aus aller Welt übertragen wurden.
„Heute sorgen wir für den Showeffekt, nicht wahr?“, fragt Käppeler sein Team. Wie locker es in dieser Küche zugeht, zeigt der Kampf um den übrigen Cheesecake vom Pre-Dessert. Käppeler ist nach dem Probeessen auf den Geschmack gekommen und Kloiber versucht seine Schätze zu bewahren. Doch die heiße Schlacht ums kalte Dessert gewinnt der Küchenchef. Sie alle haben Pokale mit Würdigungen wie „bester Mitfahrer“ für den Chef Patissier oder „bester Dunkler Lord“ für den Sternekoch. Es sind nicht nur Kollegen, sondern Freunde.
Sterneküche und die Zukunft der Branche
„Wir haben oft Praktikanten und ich würde gerne ausbilden“, sagt Käppeler, während er die letzten Ochsenbacken des Abends in Root Beer-Soße mariniert. „Doch mit YouTube und Twitch weiß ich nicht, wo die Reise hingeht und ob ich einem Azubi die nötige Aufmerksamkeit schenken könnte“, so der Koch. Doch es wäre wichtig, dass sich bei der Ausbildung etwas ändert. Er sei bereit, mit Kochschulen an neuen Konzepten zu arbeiten.
Die Branche benötige jedenfalls frischen Wind. Auch wenn die Bedingungen für Gastronomen in den letzten Jahren immer schwerer werden, wie der Koch feststellt. „Das beste Beispiel ist Steinbutt. Da habe ich vor Corona noch maximal 40 Euro pro Kilo bezahlt, jetzt sind es knapp 70 Euro“, sagt der Sternekoch. Steigende Energiekosten und die Rückkehr zum alten Mehrwertsteuersatz kommen da noch hinzu. „Wenn man kein Teil eines Hotels ist, sondern sein eigener Chef, muss man sich gut überlegen, für was man das Geld ausgibt“, so Käppeler.
Im Heizungskeller wird deutlich, was er damit meint. Zwischen Kühlaggregaten steht sein winziger Schreibtisch, an dem er so manches Menü verfasst. Heizungsrohre verlaufen offen, die Wände sind nicht verkleidet. „Hier könnte man alles ausbauen und renovieren, aber wenn etwas übrig ist, dann schaue ich lieber, dass meine Mitarbeiter genug verdienen“, stellt er mit Blick auf einen großen Michelin-Stern fest, den ein Freund für ihn angefertigt hat und der nun die Wand im Heizungskeller schmückt. Er wirkt hier unten fehl am Platz und passt gerade deshalb ins Bild von Käppelers Restaurant.
Dominik Käppeler ist im Widerspruch erfüllt
„Ich liebe Star Wars und Mittelalter, Sterneessen und Döner, Hotel und Camping – solange beide Extreme Platz finden, ist es perfekt“, sagt der Sternekoch, während er zurück in der Küche die übrigen Komponenten des Hauptgangs vakuumiert und abfüllt. Den letzten Ochsenbacken-Gang des Abends hat er gerade über den Pass geschickt. Er schaltet die Wärmelampen aus und es wird direkt kühler in der kleinen Küche. Mit Lappen und Schwamm bewaffnet, stellt er sofort die Ordnung wieder her. Diese ist „das ganze Leben“, sagt Käppeler, während er den nassen Lappen unter sein Schneidebrett legt – so kann es nicht verrutschen.
Die Küche gehört nun ganz Kloiber, der Pralinen, Pre-Desserts und Desserts anrichtet. Der umkämpfte Cheesecake geht nun im Akkord durch die Tür zum Gastraum. Die Gäste genießen, dann plaudern sie noch. Offiziell schließt der Showroom um 1 Uhr, meist wird es aber etwas später.
Am Ende des Abends verabschiedet der Chef sein Team ins Wochenende und fährt zurück zum Tegernsee – zu Sohn, Frau, Katze und Hund. Denn am Samstag und Sonntag bleibt das Lokal geschlossen. Nur während der Adventszeit ist das Restaurant auch samstags geöffnet. Im Gegenzug bleibt es über Weihnachten und Neujahr dann drei Wochen geschlossen. Käppeler ist Familienmensch, „wieso sollte Familie und Leidenschaft fürs Kochen immer in Konkurrenz stehen?“, fragt er. Kloiber fährt indes nach Hause zu seinem acht Monate alten Sohn.
Seine Mitarbeitenden haben sich ein Wochenende und Privatleben verdient. Wochenende und Gastronomie – ein weiterer Widerspruch, den Käppeler genauso zum Platzen bringt wie die Kokos-Sphäre im Mund der Gäste. Oder in seinen Worten: „Warum auch nicht?“
Warum die Reportage jetzt bei coburger-tageblatt.de erscheint:
Jedes Jahr verleiht die Akademie der Bayerischen Presse in München den sogenannten Reportagepreis. Dabei werden alle im Vorjahr geschriebenen Reportagen, die in Seminaren entstanden sind, von einer internen Jury bewertet. Am Ende entscheidet eine externe Jury über die finale Platzierung. Bei der Verleihung des Reportagepreises erhielt die Reportage unseres Volontärs den dritten Platz.
Der Text enstand im Rahmen des Grundlagenseminars Zeitungsjournalismus I. Diesen Grundkurs absolvierten unsere Volontäre im vergangenen November. Die Reportage erschien erstmals im Fränkischen Sonntag vom 28./29. Dezember 2024. Anlässlich der Preisverleihung am 15. Mai 2025 erscheint sie jetzt auch auf unserem Online-Portal.


