Das Verhältnis zwischen Israel und Deutschland bleibt weiter kompliziert.
Das Verhältnis zwischen Israel und Deutschland bleibt weiter kompliziert. // FT
Fremdelnde Freunde

Vor 60 Jahren haben Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen. Nun aber irritiert das Land der Täter das Land der Opfer zunehmend.

 //  Berlin
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Sde Boker ist ein Dorf mit Geschichte. In dem kleinen Kibbuz mit den schlichten Häusern in der Wüste Negev lebte der israelische Staatsgründer David Ben Gurion.

Im Mai 1966, genau ein Jahr nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Land der Opfer und dem Land der Täter, besuchte Konrad Adenauer ihn dort. Es war erst ihr zweites Treffen überhaupt, hier der knorrige Konservative, dort der aus Polen ausgewanderte Sozialist, beide schon im politischen Ruhestand.

Am Ende aber verabschiedete Ben Gurion seinen Besuch mit einem Satz, der damals viele Israelis empörte: „Ich habe einen Freund getroffen.“

Schatten der Schoah liegen immer noch über Deutschland

Freundschaft ist ein großes Wort, im Privaten wie im Politischen. Für Deutschland und Israel gilt das noch mehr, über ihren Beziehungen liegt noch immer der Schatten der Schoah mit sechs Millionen ermordeten Juden. Vor allem in Israel wurde die vorsichtige Annäherung zwischen beiden Staaten, die schon in den 50er Jahren begonnen hatte, deshalb lange Zeit kritisch gesehen. An den heftigen Protesten dagegen beteiligte sich auch der junge Reuven Rivlin, der Vorgänger des heutigen Präsidenten Jitzchak Herzog.

Heute zählen beide zum Freundeskreis von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Doch so unerschütterlich wie das offizielle Deutschland und das offizielle Israel ihr gutes Miteinander feiern, Städtepartnerschaften initiieren und einen intensiveren Jugendaustausch, so dünn ist der Firnis, der dieses sehr spezielle Verhältnis schützt.

Israelische verstehen Deutschlands Verhalten nach der Geiselnahme nicht

Seit den Massakern vom 7. Oktober haben viele Israelis den Eindruck, dass Deutschland mehr mit den Menschen in Gaza fühlt als mit den Geiseln der Hamas und den Familien, die Opfer des größten Judenmordes seit der Schoah geworden sind. Ziehen in Deutschland die pro-palästinensischen Demonstrationen mit ihrem aggressiv zelebrierten Judenhass nicht ungleich mehr Teilnehmer an als die Mahnwachen und Kundgebungen, die an Israels Schicksal erinnern? Und warum hat Deutschland zwischenzeitlich eigentlich seine Waffenlieferungen an Israel zurückgefahren?

Israel hat Deutschland viel zu verdanken, vor allem eine enorme Hilfe beim Aufbau des Landes, das sich schnell von einem Agrarstaat, der der Wüste Quadratmeter um Quadratmeter abtrotzen musste, zu einem High-Tech-Standort entwickelt hat.

Israel wurde zum zweiten Mal Land der Opfer

Gleichzeitig blickt Deutschland noch immer mit einem diffusen Argwohn und einer teilweise schon beängstigenden Unkenntnis auf die einzige Demokratie im Nahen Osten, ein ebenso faszinierendes wie widersprüchliches Land. Sein Regierungschef ist, ob man ihn mag oder nicht, demokratisch gewählt. Er ist kein Kriegsverbrecher, sondern ein Mann, der sein Land verteidigt, wenn auch nicht zimperlich in seinen Mitteln.

Aus gutem Grund: Am 7. Oktober ist Israel, das den Juden der Welt nach der Schoah für immer ein sicheres Zuhause bieten wollte, zum zweiten Mal zum Land der Opfer geworden. In Deutschland dagegen wird es zu nehmend in die Rolle des Täters gedrängt.

Israels Sicherheit ist Staatsräson

In Sde Boker zeigt eine der Frauen, die Besucher durch das Haus von Ben Gurion führen, gerne ein Foto von Angela Merkel in ihrem Kibbuz. Die Kanzlerin hat Israels Sicherheit 2008 zur deutschen Staatsräson erklärt. Zu dieser Sicherheit aber gehört auch die Sicherheit, irgendwann nicht mehr aus Gaza, dem Libanon, dem Iran oder dem Jemen angegriffen zu werden.

Was Deutschland dafür bereit ist, zu tun, ist auch nach 60 Jahren diplomatischer Beziehungen noch eine offene Frage.

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