Benjamin Horváth ist geistig beeinträchtigt und benötigt intensive Betreuung. Seine Eltern tun alles, was in ihrer Macht steht, haben bisher aber nur Absagen erhalten. Sie sind verzweifelt.
Csaba Horváth sitzt am Küchentisch in seiner Mietwohnung in Buttenheim. Vor ihm liegt ein Ordner, der bis zum Rand mit Unterlagen gefüllt ist. Darin enthalten ist der komplette Schriftverkehr von den unterschiedlichen Stellen, an die sich der gebürtige Ungar gewandt hat, um eine Betreuung oder eine Förderstätte für seinen Sohn Benjamin zu finden. Denn der heute 28-Jährige ist stark geistig beeinträchtigt. Abhilfe ist für die Familie aktuell allerdings nicht in Aussicht.
Benjamins Krankengeschichte beginnt schon bei seiner Geburt. Da sich die Nabelschnur um seinen Hals gewickelt hat, wurde er per Kaiserschnitt auf die Welt geholt. „Zunächst gab es keine Auffälligkeiten bei ihm. Als er aber drei Monate alt war, hatte er mehrere Krampfanfälle“, erzählt Benjamins Vater Csaba Horváth. Die Diagnose: Epilepsie. „Danach hatte er lange Zeit keine weiteren gesundheitlichen Probleme.“
Junge aus Buttenheim leidet an Epilepsie und ist Autist
Im Alter von zwölf Jahren setzten bei Benjamin eine Entwicklungsregression und Verhaltensauffälligkeiten ein. „Er hatte Probleme, die Lehrer kamen nicht mit ihm klar und deswegen musste er häufig die Schule wechseln“, so Horváth. Grund dafür war unter anderem, dass Benjamin hyperaktiv ist, nicht ruhig sitzen kann und immer herumlaufen muss. Gleichzeitig verlernte er seine sprachliche Fähigkeit. „Die Ärzte vermuteten, dass er Autist ist.“ Schlussendlich war die Familie Horváth gezwungen, Benjamin komplett aus der Schule zu nehmen und ihn zu Hause zu unterrichten. „Das fand Benjamin nicht so gut, weil er gern Kontakt mit anderen Menschen hat“, sagt der 56-Jährige.
Benjamin kam auf eine Förderschule, in der er unter der Woche in der Einrichtung blieb und am Wochenende bei seiner Familie war. „Allerdings nehmen die nur junge Erwachsene bis 23. Danach ist man in Ungarn auf sich allein gestellt“, sagt Horváth. Die Familie überlegte, wie es für sie weitergehen könnte. Benjamin benötigt ständige Betreuung und kann tagsüber nicht allein gelassen werden. Dies übernahm hauptsächlich seine Mutter Veronika Horváthané. Ihr Mann war bereits seit 2016 in Deutschland. „In Ungarn habe ich als Maler keine Arbeit mehr gefunden.“
Ungarische Familie zieht nach Deutschland
Mit der Hoffnung auf bessere Betreuungsmöglichkeiten kam seine Frau mit den zwei Söhnen nach. Die gemeinsame Tochter blieb in Ungarn zurück, da sie dort eine Hochschule besuchte. Und zunächst schien es für die Familie Horváth auch gut zu laufen. „Benjamin bekam neue Medikamente. Es geht ihm hier deutlich besser als in Ungarn“, sagt sein Vater. Im Universitätsklinikum in Erlangen konnten sie abklären lassen, woran Benjamin genau leidet. Demnach ist eine seltene genetische Veränderung „auf einer Genkopie des AP2S1-Gens ursächlich für seine Erkrankung“, von der weltweit nur 20 Menschen betroffen sind, heißt es in dem Gutachten der Klinik.
Doch trotz genauer Diagnose - eine Förderstätte oder einen Betreuungsplatz hat Familie Horváth für Benjamin bisher noch nicht finden können. „Ich weiß gar nicht mehr, an wen ich mich noch wenden soll“, sagt Csaba Horváth und zeigt auf den prallgefüllten Ordner.
Inklusion in Deutschland mangelhaft: Rüge von Vereinten Nationen
„Das ist keine untypische Situation für eine Familie mit einem Kind mit Beeinträchtigung“, sagt Anna Wöckel. Sie arbeitet bei Special Sitters, einer Dienst- und Hilfsorganisation für Menschen mit Behinderung mit Hauptsitz in Oranienburg und unterstützt Familie Horváth. „Viele Menschen wissen gar nicht, welche Rechte sie haben und was für Leistungen ihnen zusteht.“ Oft werden Betroffene nur von einer Stelle zur nächsten geschickt und müssen dann zudem noch mit langen Wartelisten rechnen. „Akute Hilfeleistungen gibt es praktisch nicht“, so Wöckel, die deutliche Verbesserungsmöglichkeiten in der deutschen Inklusionspolitik sieht. „Für junge Erwachsene mit Behinderung gibt es zum Beispiel kaum fachgerechte Wohnheime. Stattdessen werden sie oft in Altenheimen untergebracht“, kritisiert sie.
Auch eine Prüfung durch die Vereinten Nationen in Genf im vergangenen Jahr hat ergeben, dass „Deutschland nicht genug tut, um seine menschenrechtlichen Verpflichtungen aus der Behindertenrechtskonvention zu erfüllen“, heißt es dazu in der Pressemitteilung. Die Regierung müsse daher dafür sorgen, dass die Bundesländer die UN-Behindertenrechtskonvention zügig umsetzen. „In Deutschland muss man es sich leisten können, ein behindertes Kind zu haben“, so Anna Wöckel. „Und man muss sich durchboxen können.“ Denn schon allein der Weg zur richtigen Stelle sei ihrer Erfahrung nach lang.
Hilfe für Familie Horváth
Für Familie Horváth gestaltet sich die Suche noch einmal schwerer, da Csaba Horváth psychisch angeschlagen ist. Bei seiner Frau Veronika wurde Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert. Sie musste sich letztes Jahr einer großen Operation unterziehen. „Sie hat daher nicht mehr die Kraft, sich den ganzen Tag um Benjamin zu kümmern“, sagt Csaba Horváth. Die ganze Last der Familie liegt daher auf seinen Schultern. Wie der 56-Jährige erzählt, leidet er deswegen an Depressionen und Panikattacken. „Ich fühle mich oft so hoffnungslos und frage mich, wie ich weitermachen soll.“
Auf Anraten von Anna Wöckel wandte er sich an die Presse. „Ich möchte unsere Situation an die Öffentlichkeit tragen, da wir sicher nicht die einzige Familie sind, der es so ergeht. Andere sollen wissen, dass sie nicht allein sind“, sagt er. Zudem hofft er, dass er über diesen Weg weitere Ratschläge und Tipps erhält. Wer Familie Horváth weiterhelfen kann, kann sich per E-Mail unter aszterisz@gmail.com an sie wenden.
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