Im September haben wir ein Interview mit dem renommierten Branchenexperten Prof. Stefan Bratzel zum Zustand der deutschen Autozuliefererindustrie geführt. Angesichts der aktuellen Hiobsbotschaft von Schaeffler, weltweit 4700 Stellen abbauen zu wollen, gewinnen seine Aussagen neue Aktualität.
Herr Prof. Bratzel, die Autobranche ist verunsichert, viele bauen Personal ab oder erwägen Abbau. Die Arbeitsagentur in Bamberg spricht von einem Arbeitsmarkt in Schwebe – ist das nur eine Momentaufnahme?
Prof. Stefan Bratzel: Wir sehen in ganz Deutschland bereits, dass die etablierten Automobilzulieferer insbesondere im verbrennungsmotorischen Bereich große Probleme haben, die Arbeitsplätze zu halten.
Derzeit stockt in Deutschland der Absatz von E-Autos, es werden wieder mehr Verbrenner verkauft. Wie geht es mit den Autobauern und -zulieferern in Deutschland weiter?
Bratzel: Deutschland ist ein Ausnahmefall in Europa. Wenn jetzt Hersteller zwischenzeitlich wieder etwas umstrukturieren, weil die Nachfrage nach ihren elektrischen Fahrzeugen nicht so hoch ist, wie sie sich das gewünscht haben, wäre ich sehr vorsichtig, daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Global sehen wir, dass die elektrische Mobilität inzwischen das Rennen gemacht hat. Ich glaube, die Renaissance von Verbrennern ist eine gefühlte Renaissance.
Was beunruhigt die Branche, vor welchen Aufgaben steht sie und wie sind die Unternehmen in Oberfranken oder Bayern dafür gerüstet?
Bratzel: Ich bin jetzt kein Spezialist für Oberfranken oder Bayern, aber ich glaube, es ist ganz klar: Es gibt nur einen Weg, um die Arbeitsplätze langfristig zu halten. Die Hersteller und Zulieferer müssen mindestens so viel innovativer sein, wie sie teurer sind, und das im weltweiten Vergleich. Das heißt, der Fokus muss auf Innovation liegen, darunter auch Prozessinnovation, also Reduzierung von Kosten im Wertschöpfungsprozess. Das ist ein ganz zentraler Moment, um die Standorte und die Arbeitsplätze längerfristig auf einem hohen Level zu halten. Dann folgen die Felder, die künftig wichtig sind: Elektromobilität, softwaredefiniertes Fahrzeug mit den entsprechenden Dienstleistungen, die dahinterstehen, und autonomes Fahren.
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Häufig hört man die Klage, die Politik habe die Lage der Autobranche mitverschuldet. Braucht es nicht auch entschlossene unternehmerische Entscheidungen?
Bratzel: Die etablierten Autobauer und die großen Autozulieferer haben die Dynamik der Transformation unterschätzt. Gleichzeitig fällt den etablierten Autobauern in den Zeiten dieser großen Transformation, wo wirklich radikale Veränderungen stattfinden, die völlig neue Kompetenzen erfordern, diese Veränderung natürlich auch schwer. Sie müssen einen Spagat vollführen: Man verdient noch gut Geld in der „alten“ Automobilwelt, gleichzeitig soll man in die „neue“ gehen. Es fällt Herstellern und Zulieferern enorm schwer, diese Kompetenzen zu entwickeln, obwohl man in der alten Welt noch Geld verdient. Denn mit den Kompetenzen müssen sich Unternehmenskultur und Organisationsstrukturen verändern, ebenso wie Kooperationspartner. Das ist ebenso eine große Herausforderung für etablierte Autobauer wie Volkswagen wie für die großen Zulieferer.
Werden die deutschen Autobauer und damit auch die Zulieferer die Auseinandersetzung mit Asien und vor allem mit China bestehen?
Bratzel: Die chinesischen Player sind einerseits sehr innovativ, andererseits arbeiten sie vor einer sehr guten Kostenposition. Das schafft den deutschen Herstellern im Moment riesige Probleme in China, dem größten Automobilmarkt, zunehmend aber auch in Europa. Ich glaube, die Hersteller und Zulieferer sind strategisch gefordert. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig: Sie müssen an den Zukunftsfeldern arbeiten. Sie müssen Kosten reduzieren, Kostenvorteile realisieren. Natürlich ist auch der Standort Deutschland gefragt – und das geht an die Politik:
“Wir haben, was das Thema Energiesicherheit und Energiekosten angeht, ein großes Wettbewerbsproblem.
”
Wir haben hohe Bürokratiekosten, und wir haben historisch gesehen ein hohes Lohnkostenniveau. Ich glaube, da braucht es einen Deutschland-Pakt, wo man sich zusammensetzt und überlegt, wie man diese großen Felder bearbeitet.
Wie sind die großen fränkischen Automobilzulieferer Bosch, Brose und Schaeffler für diese Transformationsprozesse aufgestellt?
Bratzel: Bosch als größter Autozulieferer war ja schon immer ein bisschen diversifiziert aufgestellt, nicht nur Autozulieferer. Der hatte natürlich auch große Themen zu bewältigen, war im Dieselbereich vorne, was jetzt praktisch keine Rolle mehr spielt. Aber da kann man optimistischer sein, da bewegt man sich schon in die richtige Richtung. Schaeffler hat ja auch positive Akzente unter anderem im Hybridbereich gesetzt. Da hat man sich schon Gedanken gemacht, wie man da weiterkommen kann. Brose ist vielleicht ein bisschen der kritischste unter den dreien; hatte ja auch große Veränderungen im Management. Da sehe ich noch nicht die richtige Strategie, wie man sich da vernünftig für die Zukunft aufstellt. Insgesamt gilt für alle drei: Die Welt ist wettbewerbsintensiver geworden und es kommen nicht nur chinesische Zulieferer ins Spiel, sondern auch Digitalspieler wie Dataplayer, die in den neuen Wertschöpfungsfeldern Software und Daten eine starke Rolle spielen.

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Zur Person: Prof. Dr. Stefan Bratzel
Professor Dr. Stefan Bratzel ist Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. Er war Produktmanager bei der DaimlerChrysler-Tochter "smart" und Leiter der Geschäftsentwicklung Automotive bei PTV AG. Im Jahr 2004 hat er "Center for Automotive Management" in Bergisch Gladbach gegründet, das er bis heute führt.
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