John von Düffel ist ein Mensch der Gegensätzlichkeiten.
Seine Leidenschaft ist das Schwimmen, das Wasser ist sein Zuhause.
Die Einsamkeit ist ein Lebensthema für ihn: Schon als Kind zog er mit seiner Familie oft um, die Angst, neue Freunde schnell wieder zu verlieren, hat ihn zeitlebens begleitet.
Und doch hat er sich gleich zwei Berufe ausgesucht, die dazu nicht zu passen scheinen: das Schreiben, das er selbst als eine der einsamsten Tätigkeiten überhaupt bezeichnet, und die Arbeit am Theater, die mit sich bringt, dass sich ein Ensemble nach einer Spielzeit verändert, dass Menschen gehen und andere hinzukommen, dass man selbst nie sicher sein kann, wie lange man seinen Job hat.
Und noch dazu verbringt man viele Stunden im dunklen Theater, ohne Tageslicht.
Gegensätze, die glücklich machen?
Sind das nicht die Gegensätze zu dem, was ihn glücklich macht? Oder machen ihn diese Gegensätze irgendwie glücklich?
Vielleicht gibt es darauf keine Antwort. Er sucht sie selbst noch.
Aber egal, ob es das Leben zwischen den Gegensätzen ist, eine selbsterfüllende Prophezeiung oder die unterbewusste Suche nach dem Vertrauten: So, wie er mit Leidenschaft schwimmt und Sport treibt, so schreibt John von Düffel auch mit Ehrgeiz und Ausdauer.
In der zehnten Klasse hatte er noch eine Fünf in Deutsch, mittlerweile hat er 18 Bücher veröffentlicht und ist seit 2009 Professor für Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin.
Und als neuer Intendant des E.T.A.-Hoffmann-Theaters in Bamberg wird er die oberfränkische Kulturszene prägen, nachdem er am Deutschen Theater Berlin bis 2024 eine der bekanntesten deutschen Bühnen mitgestaltete.
Zu Gast im Podcast "Fränkischer Talk"
In der neuen Folge des Podcasts "Fränkischer Talk" spricht John von Düffel über seine Arbeit und seine Leidenschaft fürs Schreiben und die Entscheidung, sich in Bamberg zu bewerben.
In der vergangenen Folge hatte seine Vorgängerin Sibylle Broll-Pape über ihre Zeit am E.T.A.-Hoffmann-Theater, über Sexismus in der Theaterwelt und über die letzten Monate ihrer Zeit als Intendantin gesprochen. Den Link zur Folge finden Sie hier und am Ende des Artikels.
Einen Auszug aus dem Gespräch mit John von Düffel veröffentlichen wir im Folgenden.
Hinweis: Für diesen Podcast hat sich John von Düffel für das persönlichere Du entschieden. Die Auszüge aus dem Interview sind gekürzt und für eine bessere Lesbarkeit leicht bearbeitet.
Auszug aus dem Fränkischen Talk zum Nachlesen:
Du bist einer der Autoren, die viel von ihrer Persönlichkeit in ihre Bücher fließen lassen. Es gibt sogar ein Buch von Dir, das heißt "Wovon ich schreibe". Die alte Frage, die im Literaturwesen sehr unbeliebt ist, wie viel Autobiografisches in einem Roman landen darf, stellst Du gar nicht, sondern machst das schon fast plakativ. Wie kommt das?
John von Düffel: Es gibt von vornherein schon einen kleinen künstlerischen Effekt, indem man die Dinge, die man erlebt hat oder mit denen man sich beschäftigt, aufschreibt. Das kennt, glaube ich, jede und jeder: dass das Verschriftlichen von Erfahrungen schon ein kleiner künstlerischer Akt ist, in dem auch eine Differenz, so ein kleiner Unterschied entsteht. In dem Moment, wo ich "ich" schreibe, bin das "Ich", das auf dem Papier steht, nicht mehr ich.
Und diese kleine Lücke, die der Teufel gelassen hat, erlaubt es mir, auch sehr frei von dem zu erzählen, was das geschriebene, eigene Ich erlebt hat und was sich teilweise mit dem deckt, was meine Biographie ist oder die Stationen meiner Biografie waren.
Ich suche schon Schauplätze auf, an denen ich gelebt habe, wo ich das Gefühl habe, ich kann von ihnen Zeugnis ablegen, weil ich da war, weil ich mit ihnen Zeit verbracht habe, mit den Gewässern, mit den Landschaften, mit den Städten und Menschen. Und das ist für mich sozusagen der Beginn von Glaubwürdigkeit.
Was muss passieren, damit Du sagst: Dieses Erlebnis, dieser Ort, dieser Mensch, diese Erfahrung muss auf einer Buchseite vorkommen?
Es muss etwas verändern. Wenn ich aus einem Gespräch rausgehe und das Gefühl habe, ich bin ein kleines bisschen anders nach dem Gespräch als vor dem Gespräch, oder wenn ich ein Buch lese, ist das auch mein Anspruch: Dass ich das Gefühl habe, wenn ich das Buch nicht gelesen hätte, hätte ich vielleicht auch ein bisschen anders weitergedacht oder anders weitergelebt. Dieses Momentum von Veränderung ist für mich immer eine Art Signal dafür.
Du bist Sportler, läufst und schwimmst viel und bist gerne draußen. Das Schreiben ist einsam, Theater sind dunkle Räume, oft ohne Tageslicht. Wie kann es sein, dass du dich in diesen Jobs so wohl fühlst, obwohl sie so gegen Deine Natur zu gehen scheinen?
Diese Frage ist wirklich eine ganz ernsthafte Frage, die ich mir selber auch immer wieder gestellt habe. Ich habe auch noch keine abschließende Antwort. Ich habe aber ein paar Koordinaten, die ich für mich selber gefunden habe, weil mich das auch als Widerspruch beschäftigt. Und es ist ein Widerspruch oder zumindest eine Polarität oder eine Spannung.
Es ist schon so, an einem Tag wie heute, wenn die Sonne scheint oder wenn man das Gefühl hat, die Tage werden länger, es ist Frühling – und dann zu denken, okay, jetzt geh ich auf die Probe und das dauert mal vier, fünf Stunden und dann habe ich eine kurze Pause und dann geht es am Abend weiter. Ich muss mich schon ganz schön selber dazu zwingen, auch wenn ich dann auf der Probe Freude habe an der Arbeit. Und genauso ist es, wenn man gerade an einem Text sitzt und das Gefühl hat, man ist so wunderbar im Schreibfluss und die Dinge gehen voran und es fliegt einem so viel zu und es wird einem so viel geschenkt beim Schreiben. Und dann denkt man: Jetzt muss ich aber los. Das sind wirklich Momente, wo es richtig knirscht und wo es auch weh tut.
Das Schreiben eines Romans ist eine extrem einsame Tätigkeit, es ist die absolute, fast monomane Konzentration auf das, was an Potenzialen, aber vielleicht auch an an Unfähigkeiten in einem selber steckt. Denn man ist zwar die Lösung, aber man ist die meiste Zeit das Problem, weil es einem nicht gelingt, das zu schreiben, was man gerne schreiben möchte. Das Theater-Machen ist zum Beispiel eine sehr solidäre gemeinschaftliche Angelegenheit. Man ist mit anderen zusammen, wird von anderen auch durchaus inspiriert.
Das heißt, es gibt diese totale Einsamkeit, das solitäre Produzieren, und es gibt das solidäre oder gemeinschaftliche Arbeiten. Und ich glaube, ich kann mich nicht zwischen diesen beiden Arbeitsformen entscheiden. Das Schönste ist, sie miteinander immer wieder in ein Gleichgewicht zu bringen, und das ist so ein bisschen das Kunststück.
Du bist oft umgezogen, schon als als Kind, als Jugendlicher, auch als Erwachsener. Und Du sagst, dass das Schreiben und das Schwimmen Dir an jedem Ort gegen die Einsamkeit geholfen haben. Beides sind eigentlich einsame Tätigkeiten. Wie passt das zusammen?
Diese vielen Ortswechsel im Lebenslauf klingen immer, wenn man das so runterrattert, ganz toll. Auf der erlebten Ebene eines Kindes oder Jugendlichen ist es so, dass man lauter Leute kennenlernt, von denen man weiß: Ich werde mich in ein, zwei Jahren von dir wieder verabschieden müssen. Diese Perspektive führt dazu, dass man irgendwann vorsichtig wird mit Freundschaften, mit Menschen, an die man sein Herz hängt.
Das heißt, man nimmt eigentlich eine Einsamkeit vorweg, auch wenn sie gar nicht da ist, macht sich sozusagen schon innerlich einsamer. Und das ist für ein Kind oder für einen Jugendlichen, wenn ich jetzt auf mich selber zurückblicke, wirklich hart.
Durch diese Ortswechsel habe ich auch immer wieder nicht nur Menschen oder Kontexte verloren, sondern auch Landschaften. Und ich hab eine sehr intensive Beziehung zu den Landschaften, zur Natur und dem Wasser, mit dem ich umgehe. Das Leben spiegelt sich für mich sehr stark darin. Und zu wissen, dass diese Landschaft mir wieder aus dem Herz gerissen wird, ist kein schönes Bewusstsein.
Deswegen war für mich das Schwimmen und dieses Im-Wasser-Sein eine Konstante. Das Wasser ist immer wieder ein anderes gewesen, es waren immer wieder andere Flüsse, Seen, Meere, teilweise auch Schwimmbäder. Aber es war für mich immer etwas Vertrautes.
Das Schwimmen ist zwar einsam, ja, man kann sich dabei nicht unterhalten, wenn man ernsthaft schwimmt. Aber es ist ein Dialog mit dem Element. Ich fühle das Wasser und ich führe gewissermaßen immer ein Gespräch mit dem Element, wenn ich schwimme.
Das Schreiben ist eine absolut einsame Tätigkeit. Gleichzeitig ist es aber auch immer wieder ein Aufsuchen von Erinnerungen, Begegnungen, Menschen, Figuren, Situationen und insofern es ist zwar einsam, aber es ist gefüllt mit mit sehr viel, mit sehr viel Erfahrung, mit sehr viel Erinnerung. Und insofern ist es auch wieder sehr voll.
Deine Vorgängerin Sibylle Broll-Pape geht nicht freiwillig. Sie hat um zwei Jahre Verlängerung gebeten, die wurden ihr von der Stadt nicht genehmigt. Dafür kannst Du natürlich nichts, trotzdem ist es eine merkwürdige Situation, in der Du anfängst. Was bedeutet dies für Deinen Start, wie fühlt sich das gerade für Dich am Theater an, wo sie ja auch noch ist?
Es ist natürlich eine schwierige Übergangssituation und ich habe selber nach 14 Jahren am Deutschen Theater in Berlin erlebt – und das ist jetzt anderthalb Jahre her –, wie sich so ein Wechsel anfühlt. Dass auch Kollegen, mit denen man sehr eng zusammengearbeitet hat, auf einmal das Gespräch abbrechen und in die andere Richtung gucken oder gehen, wenn die Neuen kommen, mit denen sie in Zukunft arbeiten werden; das ist schmerzhaft.
Was ich mitbringen kann, ist erstmal ein großes Verständnis für die Situation von Sibylle und von vielen ihrer Mitarbeitenden. Und auf diese Form der Verletzung oder auf die Schwierigkeiten des Übergangs versuche ich menschlich so gut wie möglich einzugehen und Rücksicht zu nehmen. Und gleichzeitig ist es natürlich auch Theater-Schicksal. Es ist grausam, weil man immer nur auf Zeit gewählt ist.
Man muss immer damit leben, dass auch wenn man das Gefühl hat: "Ich mach hier gute Arbeit und das Haus und ich, wir sind gut verwachsen, wir wir passen zusammen", selbst dann kann es einem passieren, dass man aus politischen oder sonstigen Gründen nicht verlängert wird.
Das ist, glaube ich, der schwierigste Teil in dieser Geschichte: dass das Haus jetzt einen Identitätswandel macht. Es wird sich verändern, und auf einmal hört es auf, das Haus, das Theater, das Sibylle hier gestaltet hat, zu sein. Und es muss und wird anfangen, das Theater zu sein, das ich gestalte. Und ich kann das nur mit Rücksicht und Sympathie und Empathie für sie und ihre Situation begleiten und für die Kolleginnen, die es auch mit betrifft. Aber es ist ein wirklich harter Vorgang.
Das ganze Interview kostenfrei im Podcast
Das ganze Gespräch mit John von Düffel hören Sie auf allen gängigen Podcast-Plattformen wie Spotify oder Apple Podcasts oder direkt hier:
Zur Person
John von Düffel wurde 1966 in Göttingen geboren und lebte schon als Kind und Jugendlicher mit seiner Familie in verschiedenen Ländern. Das häufigen Umziehen prägte ihn sehr, wie in verschiedenen seiner Bücher deutlich wird.
Er studierte Philosophie und wechselnde Nebenfächer in Stirling in Schottland und Freiburg im Breisgau und wurde bereits im Alter von 23 promoviert. Im Jahr 2008 hatte er die Poetik-Professur an der Uni Bamberg und lernte die Stadt kennen und schätzen.
Seit 1993 ist er als Dramaturg tätig, unter anderem in Oldenburg, Basel und Hamburg. Von 2009 bis 2024 arbeitete er am Deutschen Theater Berlin.
Mit seiner Familie lebt er noch so lange in Potsdam, bis seine Tochter das Abitur hat. Danach will er mit seiner Frau nach Bamberg umziehen.
Hier lesen Sie mehr über seinen Start in Bamberg:
Podcast "Fränkischer Talk"
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